1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
300
Iii. Geschichtsbilder.
Oesterreicher ziehen wollte, verweigerte
d'olfort nicht nur den Einlaß, sondern
er ließ Kanonen gegen seine eigenen
Landsleute aufführen; dagegen öffnete
er den Oesterreichern von der andern
Seite die Stadt. So gingen alle Fe-
stungen und Städte wieder an die Oester-
reicher verloren. Einzelne Haufen lei-
steten da und dort noch hartnäckigen
Widerstand; doch sie wurden überwältigt,
zerstreut, gefangen, entwaffnet. Auch
Meindl, der sich bei Wasserburg noch
verschanzt hielt, verließ, nachdem er
Alles verloren sah, seine Schaaren. Der
edle Plinganser zerbrach verzweifelnd sein
Schwert und floh aus dem unglücklichen
Vaterlande.
So endete diese Erhebung, welche
den glorreichen Aufständen der Tiroler
an die Seite gestellt werden darf, zwar
nicht im Glücke der Waffen, wohl aber
in edler Begeisterung, Vaterlandsliebe
und treuer Anhänglichkeit an den
Fürsten!
138. Karl Albrecht und Maximilian Joseph Ul in Bayern.
1. Der Tod des Kaisers Karl Vi.,
des letzten männlichen Sprossen aus dem
habsburgischen Hause, rief in Deutsch-
land wieder ernste Verwicklungen her-
vor. Auf Grund eines von Karl Vi.
unter Zustimmung der Stände und der
meisten deutschen und auswärtigen Re-
genten erlassenen Hausgesetzes, der prag-
matischen Sanktion, trat Karls Vi.
einzige Tochter Maria Theresia die
Regierung in sämmtlichen österreichischen
Kronländern an. Kurfürst Karl Al-
brecht von Bayern aber war nicht ge-
neigt, seine durch Kaiserferdinands l. Te-
stament verbrieften Ansprüche auf Oester-
reich und Böhmen so leichthin bei Seite
schieben, zu lassen. Frankreich und
das junge, mächtig aufstrebende König-
reich Preußen suchten den Erbschafts-
streit zu ihrem Vortheil auszubeuten
und ermunterten den bayerischen Kur-
fürsten in seinem Widersprüche gegen die
pragmatische Sanktion, wenn gleich beide
Staaten dieser früher ihre Zustimmung
gegeben hatten. Da nun Oesterreich
Bundesgenossen an England und Holland,
später sogar an Rußland fand, so stund
bald beinahe ganz Europa abermals wi-
der einander in Waffen. Wie im spa-
nischen Erbfolgekriege mußte Bayern die
bittere Erfahrung machen, daß Frank-
reich nur aus eigenem Interesse Karl
Albrechts Parthei ergriffen hatte, und
daß es diesen in der Roth ebenso seinem
Schicksale überließ, wie früher den Kur-
fürsten Max Emannel.
Preußen war in diesen Krieg ohne-
hin aus keiner andern Absicht einge-
treten, als sich auf Kosten Oesterreichs
zu vergrößern; es kümmerte sich um
Karl Albrecht nicht weiter, sobald es
dieses Ziel erreicht hatte. So besaß
dieser bloß Bundesgenossen, denen sein
gutes Recht nur zu einem Deckmantel
diente, unter dem sie ihre selbstsüchtigen
Zwecke verfolgten.
Ueber Karl Albrecht und seine treuen
Bayern brachte dieser Krieg vielen Jam-
mer. Wohl drang der Kurfürst An-
fangs siegreich in Oesterreich ein und
ließ sich in Linz als Erzherzog huldigen;
statt aber geraden Weges auf Wien zu
gehen, zog er nach Prag, um dort die
böhmische Krone zu empfangen, zu welcher
er bald darauf in Frankfurt noch die
deutsche Kaiserkrone erhielt. Rur zu
bald wendete sich das trügerische Kriegs-
glück. Die Oesterreicher eroberten Bayern
und nachdem der bayerische General
Seckendorf es seinem Herrn ans kurze
Zeit wieder gewonnen, siel es aber-
mals in österreichische Hände und wurde
nun wie zu Max Emanuels Zeiten als
ein erobertes Land behandelt und sogar
gezwungen, Maria Theresia, der Königin
von Ungarn und Böhmen, zu huldigen.
Karl Albrecht aber ward von Frank-
reich wie von Preußen im Stiche ge-
lassen. In Frankfurt saß er, ein Fürst
ohne Land, ein Kaiser ohne Macht.
Vom Mißgeschick gebeugt, rief er aus:
„Mich wird das Unglück nicht verlassen,
bis ich es verlasse!" Noch ein Licht-
strahl siel in sein düsteres Loos:
der greise Seckendorf hatte ihm
Bayern zum zweitenmale erobert und
1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
134. Das Ende des dreißigjährigen Krieges.
287
134. Das Ende des dreißigjährigen Krieges.
Was diesen furchtbarsten und unheil-
vollsten aller Kriege so beklagenswerth
macht, ist nicht zunächst seine lange
Dauer, nicht der unerhörte Menschen-
verlust, nicht die grauenhafte Verwüstung
deutscher Lande, obwohl von alle dem
jedes schon unendlich betrübend erscheint;
— sondern der durch ihn bewirkte poli-
tische Zerfall Deutschlands, der Verlust
der inneren und äußeren Selbstständigkeit.
Die Kaisermacht war von nun an ge-
brochen, die Reichseinheit vernichtet,
Deutschland dem Einfluß des Auslandes
preis gegeben. Es fehlte zu damaliger
Zeit nicht an Männern, welche mit
klarem Blicke das Elend erkannten und
mit patriotischem Muthe der Wahrheit
Zeugniß gaben. Aber sie predigten tau-
den Ohren. Im Jahre 1647 schrieb
der edle Wassenberg im Kummer über
den Verfall Deutschlands also:
„Mit lauter Stimme rühmen die
Franzosen und Schweden, Deutschland
sei von ihnen bezwungen, und die durch
unsere eigenen Hände uns entrissenen
Fahnen zeigt öffentlich Paris und Stock-
holm. So, thörichte Dienstleute frem-
den Ruhmes, zerstören wir den unsern
und unsere Tugend mit unserem Blute.
Könige, die sonst dem Rufe des Kaisers
Folge leisten, sich zur Rechenschaft stellen
mußten, entscheiden mitten in Deutsch-
land über Deutschland, berufen Reichs-
tage, sitzen zu Recht, vermögen mehr
als der Kaiser, und sind durch unsere
Uneinigkeit unsere Herren geworden. Sie
rufen, und wir erscheinen; sie reden,
und wir horchen ihren Worten wie Ora-
keln; sie versprechen, und wir trauen
ihren Zusicherungen, als wären sie gött-
lichen gleich, sie drohen, und wir zittern
wie Knechte!
„Wie kann der Einzelne bei solcher
Lage des Ganzen auf Freiheit rechnen?
Unsere Scepter und Adler sind nicht
mehr die unsern, sondern (das sagen sie
laut in Worten und Schriften) die
Deutschen alle, wo und wie sie seien,
gehörten schlechthin, ganz, unbedingt
ihnen!"
„Schon Gustav Adolf verlangte strenge
Unterwerfung, aber er war doch ein
König und ein großer König; was aber
soll man dazu sagen, daß deutsche Für-
sten, Prälaten, Kurfürsten, wie Diener
einem überseeischen Edelmanne aufwar-
ten, ihm Waschwasser, Mantel, Essen
reichen, von ihm zurecht gewiesen, ja
verachtet werden?"
„Wie mit Judasküssen nahen diese un-
sere angeblichen Befreier. Und wir Thoren
hoffen, daß so arge, heimtückische Feinde
uns erretten, daß sie, die das herrlichste
aller Reiche mit allen Kräften und Mit-
teln aufzulösen suchten, es heilend her-
stellen werden! Sie wollen uns vom
Kaiser, den Kaiser von uns trennen;
reichen uns in geschmückten Bechern gar
manchfaches, süßes, langsames Gift und
erwecken uns mehr als einen Maffinissa,
durch welche sie das ganze Reich zuletzt
in ihre Botmäßigkeit zu bringen hoffen.
Vom Rheine, der Nordsee und Ostsee
her erspähen sie auf ihren Warten jede
Gelegenheit, jeden Streit, der da ent-
steht oder von ihnen herbeigeführt wird,
und sind (wie einst die Römer Hellas)
erst freundliche Zuredner, dann Rath-
geber, dann Schiedsrichter, endlich Her-
ren !"
„O Deutschland, erwache, gedenke
deiner selbst, erstehe von diesem tödtlichen
Kampfe? Das Reich kann nur durch
das Reich, Deutschland durch Deutsch-
land wiedergeboren werden, und durch
die Sonne der göttlichen Gnade wie ein
Phönix aus der Asche seines eigenen
Leibes hervorgehen. Nicht Katholiken
oder Unkatholiken, nicht Römische oder
Lutherische (Namen, den arglistigen Fein-
den willkommen) sollen uns davon ab-
halten; sondern als Glieder eines Leibes,
eines Staates, als Brüder müssen sich
alle Deutsche in Liebe umfassen, und mit
allen Kräften und Tugenden helden-
müthig jenem großen Ziele nachstreben.
Das Vaterland schützen, vertheidigen,
erhalten, dazu ist Jeder, dazu sind Alle
verbunden. Aber nach beiden Seiten zu
hinken, bald nach Paris, bald nach
Stockholm zu blicken, Landhaften hin-
geben und Freiheit erkaufen wollen —
1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
320
Iii. Geschichtsbilder.
Hierauf wurden auch mit Baden,
Württemberg, Bayern und Hes-
sendarmstadt Friedensverträge abge-
schlossen, nach welchen diese Staaten
den Bestimmungen des Nikolsburger
Friedens bezüglich der Neugestaltung der
Verhältnisse in Deutschland anerkennen,
zugleich auch Schutz- und Trutzbündnisse
mit Preußen abschließen und darin sich
verpflichten mußten, für den Fall eines
Krieges ihre Truppen unter den Ober-
befehl des Königs von Preußen zu stellen.
Somit hat der deutsche Bund zu
bestehen aufgehört. Das ehemalige
deutsche Reich ist politisch in drei Grup-
pen gespalten: in den norddeutschen
147. Gott in
In der That, es entdeckt ein irgend
aufmerksamer Blick den Gott in der
Geschichte noch leichter und unverkenn-
barer, als in der Natur. Wenn aus
allem, was die Menschen wollen und
dem sie mit allen Mitteln, über die sie
gebieten, entgegenstreben, nichts wird;
was sie nicht wollen aber sich erfüllt,
und es nun hinterher sich klar darstellt, daß
das, was sie gewollt, unvernünftig ge-
wesen ; was aber geworden, sich als das
Rechte erwiesen: dann ist es der Gott
in der Geschichte gewesen, der dieses so
geleitet hat. Wenn es Mittwinternacht
ist auf Erden und alle Pulse der Ge-
schichte stocken, und alles Leben in ihr
versiegen will, und nun mit einem mal
ein Frühlingshauch sie überweht und
die verlechzten Brunnen plötzlich über-
fließen wollen und eine unbegreifliche
Macht die Geister bindet, und sie hin-
führt oder hinstürmt, wo sie nicht hin
wollen: dann ist es der Gott in der
Geschichte, der es durch sie wehen und
darauf grünen und blühen läßt. Wenn
die Menschen nach der Titanen Art, Trotz
auf Trotz, Masse auf Masse, Gewalt
auf Gewalt anwälzend sich ein Riesen-
bild gebaut, es anzubeten, und nun
ein Sonnenstäubchen unvermerkt heran-
Bund, in die südwestdeutsche Staaten-
grnppe und in die deutsch-österreichischen
Landestheile.
Bei solcher Lage der Dinge mag
uns, die wir nicht ohne bange Besorg-
niß in die Zukunft schauen, die Hoff-
nung trösten, daß Gott, der ja stets
das Schlimme zum Guten zu lenken
weiß, auch unserem großen gemeinsamen
Vaterlande noch jenen Tag wird erscheinen
lassen, da alle deutschen Stämme in ge-
genseitiger Achtung ihres eigenthüm-
lichen Wesens und ihrer, wie ihrer Herr-
scher Rechte sich einträchtig die Hand
zum friedlich geeinten Bunde reichen
werden!
der Geschichte.,
schwebt, und im Schweden langsam
wachsend, hineinwächst in die Sichtbar-
keit, und wachsend und immer wachsend
Masse gewinnt und zum Steine wird,
und der Stein zum Felsen, der, an die
thönernen Füße des Kolosses anprallend,
ihn in Staub zermalmt: dann ist es der
Gott der Geschichte gewesen, der kein
Wohlgefallen an dem Götzenbilde ge-
funden und der verschwindenden Größen
sich bedient, um die sich blähende Klein-
heit zu zerstieben. Vor allem, wenn er
als Richter herniederkommt, um mit
Langmuth getragenem Frevel ein Ziel
zu setzen; wenn das Schwert der Boten
seines Zorns Hunderttausende wegmäht
wie Gras auf dem Anger, daß sie, die
noch einen Augenblick zuvor auf ihre
Zahl und Macht und Unüberwindlich-
keit gepocht, jetzt an der Erde liegen
und zu Heu erdörren: dann entsteht
wohl eine augenblickliche Stille unter
den Völkern, und das sonstige Getöse
der Geschichte schweigt eine kleine Zeit;
denn jene höhere Geschichte, die Gott aus
der Stille seiner Unsichtbarkeit heraus-
wirkt ist, jetzt ganz nahe an die Horchen-
den herangetreten, und die Geisternähe
erfüllt sie mit Schrecken und unwillkür-
licher Ehrfurcht.
1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
31. Gebet während der Schlacht.
399
Was fielst du Schütze^ „Tod dem Hirsch, dem fetten."
Gleich Hirsch und Reh wird man euch selber jagen.
Was strickst du Fischer? „Netz dem Fisch, dem zagen."
Aus eurem Todesnetz wer kann euch retten?
Was wiegest du schlaflose Mutter? „Knaben."
Ja, daß sie wachsen und dem Vaterlande
Im Dienst des Feindes Wunden schlagen sollen.
Was schreibest Dichter du? „In Gluthbuchstaben
Einschreib' ich mein' und meines Volkes Schande,
Das seine Freiheit nicht darf denken wollen."
3. Bei Gott! Kein Nichts ist's, deß ihr euch verwegnet!
Ein Etwas ist's, wofür den Arm ihr höbet,
Ein Etwas, das die Welt und Nachwelt lobet,
Ein Etwas, dem der Himmel Gnade regnet!
Drum, eh' ihr auszieht und dem Feind begegnet,
Steht erst vor dem, deß Aug' die Herzen probet:
Nicht eh'r zieht, als dem Höchsten anverlobet,
Nicht eh'r zieht, als vom Priester eingesegnet.
Der Feinde Lanzen müssen vor euch splittern,
Und seine Donner müssen ihm versagen,
Wenn für euch selbst spricht Gott aus den Gewittern.
Ja, Gottes Flügel, um euch hergeschlagen.
Muß, ob ihr fallet, selbst den Tod entbittern.
Daß ihr sein Antlitz seh'n könnt ohne Zagen.
4. Wir schlingen unsre Hand' in einen Knoten,
Zum Himmel heben wir den Blick und schwören!
Ihr Alle, die ihr lebet, sollt es hören,
Und wenn ihr wollt, so hört auch ihr's, ihr Todten.
Wir schwören: Steh'n zu wollen den Geboten
Des Lands, deß Mark wir tragen in den Röhren,
Und diese Schwerter, die wir hier empören,
Nicht eh'r zu senken, als vom Feind zerschroten.
Wir schwören: daß kein Vater nach dem Sohne
Soll fragen, und nach seinem Weib kein Gatte,
Kein Krieger fragen soll nach seinem Lohne,
Noch heimgeh'n. eh' der Krieg, der Nimmersatte,
Ihn selbst entläßt, mit einer blut'gen Krone,
Daß man ihn heile, oder ihn bestatte.
31. Gebet während der Schlacht.
Von Theodor Körner.
Vater, ich rufe dich!
Brüllend umwölkt mich der Dampf der
Geschütze,
Sprühend umzucken mich rasselnde Blitze.
Lenker der Schlachten, ich rufe dich!
Vater du, führe mich!
Vater du, führe mich!
Führ' mich zum Siege, führ' mich zum Tode!
Herr, ich erkenne deine Gebote!
Herr, wie du willst, so führe mich.
Gott, ich erkenne dich!
Gott, ich erkenne dich!
So im herbstlichen Rauschen der Blätter,
Als im Schlachtendonnerwetter,
Urquell der Gnade, erkenn' ich dich.
Vater du, segne mich!
Vater du, segne mich!
In deine Hand befehl' ich mein Leben,
Du kannst es nehmen, du hast es gegeben;
Zum Leben, zum Sterben segne mich.
Vater, ich preise dich!
Vater, ich preise dich!
's ist ja kein Kampf für die Güter der
Erde;
Das Heiligste schützen wir mit dem Schwerte,
Drum, fallend und singend, preis' ich dich,
Gott, dir ergeb' ich mich!
Gott, dir ergeb' ich mich!
Wenn mich die Donner des Todes begrüßen.
Wenn meine Adern geöffnet fließen:
Dir, mein Gott, dir ergeb' ich mich!
Vater, ich rufe dich!
1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
107. Aus dem Schauspiel: „Wilhelm Tell".
463
Attinghaufen
(hat ihn lange mit den Augen gemustert).
Ja, leider bistdu's! Leider ist die Heimat
Zur Fremde dir geworden! Uly! Uly!
Ich kenne dich nicht mehr. In Seide prangst du,
Die Pfauenfeder trägst du stolz zur Schau
Und schlägst den Purpurmantel um die
Schultern;
Den Landmann blickst du mit Verachtung an
Und schämst dich seiner traulichen Begrüßung.
Rudenz.
Die Ehr', die ihm gebührt, geb' ich ihm gern;
Das Recht, das er sich nimmt, verweigr'
ich ihm.
Atting hausen.
Das ganze Land liegt unterm schweren Zorn
Des Königs — jedes Biedermannes Herz
Ist kummervoll ob der tyrannischen Gewalt,
Die wir erdulden — dich allein rührt nicht
Der allgemeine Schmerz — dich stehet man
Abtrünnig von den Deinen auf der Seite
Des Landesfeindes stehen, uns'rer Noth
Hohnsprechend nach der leichten Freude jagen,
Und buhlen um die Fürstengunst, indeß
Dein Vaterland von schwerer Geißel blutet.
Rudenz.
Das Land ist schwer bedrängt — warum,
mein Oheim?
Wer ist's, der es gestürzt in diese Noth?
Es kostete ein einzig leichtes Wort,
Um Augenblicks des Dranges los zu sein
Und einen gnäd'gen Kaiser zu gewinnen.
Weh' ihnen, die dem Volk die Angen halten,
Daß es dem wahren Besten widerstrebt!
Um eig'nen Vortheils willen hindern sie,
Daß die Waldstätte nicht zu Oest'reich
schwören.
Wie ringsum alle Lande doch gethan.
Wohl thut es ihnen, aus der Herrenbank
Zu sitzen mit dem Edelmann; den Kaiser
Will man zum Herrn, um keinen Herrn zu
haben!
Atting hausen.
Muß ich das hören, und aus deinem Munde!
Rudenz.
Ihr habt mich aufgefordert, laßt mich enden.
Welche Person ist's, Oheim, die ihr selbst
Hier spielt? Habt ihr nicht höhern Stolz,
als hier
Landammann oder Bannerherr zu sein
Und neben diesen Hirten zu regieren?
Wie? Ist's nicht eine rühmlichere Wahl,
Zu huldigen dem königlichen Herrn,
Sich an sein glänzend Lager anzuschließen,
Als eurer eig'nen Knechte Pair zu sein
Und zu Gericht zu sitzen mit dem Bauer?
Attinghausen.
Ach, Uly! Uly! Ich erkenne sie
Die Stimme der Verführung! Sie ergriff
Dein off'nes Ohr, sie hat dein Herz vergiftet!
Rudenz.
Ja, ich verberg es nicht: in tiefer Seele
Schmerzt mich der Spott der Fremdlinge,
die uns
Den Bauernadel schelten! Nicht ertrag ich's,
Indeß die edle Jugend rings umher
Sich Ehre sammelt unter Habsbnrgs Fahnen,
Auf meinem Erb' hier müßig still zu liegen
Und bei gemeinem Tagewerk den Lenz
Des Lebens zu verlieren! Anderswo
Geschehen Thaten, eine Welt des Ruhms
Bewegt sich glänzend jenseits dieser Berge:
Mir rosten in der Halle Helm und Schild!
Der Kriegstrommete muthiges Getön,
Der Heroldsruf, der zum Turniere ladet,
Er dringt in diese Thäler nicht herein;
Nichts als der Kuhreih'n und der Herde-
glocken
Einförmiges Geläut vernehm ich hier!
Attinghausen.
Verblendeter, vom eitlen Glanz verführt!
Verachte dein Geburtsland, schäme dich
Der uralt frommen Sitte deiner Väter!
Mit heißen Thränen wirst du dich dereinst
Heim sehnen nach den väterlichen Bergen
Und dieses Herdenreihens Melodie,
Die du in stolzem Ueberdruß verschmähst,
Mit Schmerzenssehnsucht wird sie dich er-
greifen;
Wenn sie dir anklingt auf der fremden Erde.
O, mächtig ist der Trieb des Vaterlands!
Die fremde, falsche Welt ist nicht für dich;
Dort an dem stolzen Kaiserhof bleibst du
Dir ewig fremd mit deinem treuen Herzen!
Die Welt, sie fordert and're Tugenden,
Als du in diesen Thälern dir erworben.
Geh' hin, verkaufe deine freie Seele,
Nimm Land zu Lehen, werd' ein Fürsten-
knecht,
Da du ein Selbstherr sein kannst und ein Fürst
Auf deinem eig'nen Erb' und freien Boden.
Ach, Uly! Uly! Bleibe bei den Deinen!
Geh' nicht nach Altdorf —! O, verlaß' sie
nicht
Die heil'ge Sache deines Vaterlands! —
Ich bin der letzte meines Stamms. Mein
Name
Endet mit mir. Da hangen Helm und Schild;
Die werden sie mir in das Grab mitgeben.
Und muß ich denken bei dem letzten Hauch,
Daß du mein brechend Auge nur erwartest,
Um hinzugeh'n vor diesen neuen Lehnhof
Und meine edeln Güter, die ich frei
Von Gott empfing, von Oest'reich zu em-
pfangen !
Rudenz.
Vergebens widerstreben wir dem König.
Die Welt gehört ihm! wollen wir allein
Uns eigensinnig steifen und verstocken,
Die Länderkette ihm zu unterbrechen,
1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
Iv.
Didaktische Dichtungen.
108. Aus „Laienbrevier" und „Weltpriester".
Bon Leopold Schefer.
Wenn du's so weit bringst, daß du Feinde
hast,
Dann lob' ich dich, weil Alle noch nicht
gut sind.
Wenn du es auch verschweigst, doch schäme dich
Nicht, daß du Feinde hast — wer Feinde nicht
Ertragen kann, ist keines Freundes werth.
Dir müssen Feind sein, die die Knechtschaft
wollen!
Dir müssen Feind sein: die die Wahrheit
fürchten!
Dir müssen Feind sein: die das Recht ver-
drehen !
Dir müssen Feind sein: die von Ehre weichen!
Dir müssen Feind sein: die nicht Freunde
haben,
Nur Mitgenossen ihrer irren Frevel;
Dir müssen Feind sein: die nicht Feinde haben,
Weil — um für sich Verzeihung zu gewinnen,
Die Welt zu leicht verzeiht. Dir müssen
Feind sein:
Für welche du nicht Freund bist. Siark
ertrage
Der Schlechten Feindschaft! Sie ist schwach
und nichtig.
Und stehst du da als reiner warmer Strahl
Des Himmelsfeuers, dann erwärmest du
Die Guten, und sie schließen sich an dich.
Du aber sei der Feinde wahrster Freund
Und lasse nicht von ihnen ab mit Worten
Und Blicken, Beispiel, selbst mit langem
Schweigen,
Zurückgezogenheit, dir schwerem Tadel!
Der Gute ist des höchsten Lobes werth.
Der Thoren zu gewinnen weiß zum Guten.
Und sieh — es bitten für die Unglücksel'gen
Ihr Vater . . . ihre Mutier aus der
Gruft!
Es bitten ihre Lieben — ihre Kinder!
Es bittet dich ihr eig'ner scheuer Blick!
Es bittet dich ein Gott in deiner Brust:
„Laß nicht von deinen Brüdern ab, mein
Kind!"
Gleichgültiger, du willst dich um dein
Eignes
Nur kümmern? Um dein'haus und Weib
und -Kinder?
Der Mensch hat kaum ein Eigenthum, woran
Nicht fremde Hand unsichtbar liegt. Du selbst
Gehörst der Welt zu eigen; in dem Hause
Wohnst du — im Lande, auf der Erde frei,
Und wer das Land hat, hat auch deine Kinder,
Und wer die Menschen hat, der hat auch dich.
D'rum: kümmre dich um Vaterland und
Menschen.
Nimm Theil mit Mund und Hand in
deiner Nähe,
Nimm Theil mit Herz und Sinn am fernen
Guten,
Was Edle rings bereiten, selbst für dich.
Laß Nichts verderben, sonst verdirbst du mit;
Laß Keinen Sklave sein, sonst bist du's mit;
Laß Keinen schlecht sein, sonst verdirbt er dich;
Und denken Alle so wie du, dann kann
Der Schlechte Keinen plagen, noch auch
dich.
Und kann die Menschheit frei das Rechte
thun,
Geht jede Göttergab' auch dir zu gut
Und deinen Enkeln allen; denn auf immer
Wird das erworben, was der Geist erwirbt.
Marschall, Lesebuch.
30
1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
466
Iy. Didaktische Dichtungen.
Kinderfreude.
Den Kindern mache ihre Jugend schön!
Versäume auch die kleinste Freude nicht!
Du machst sie jetzo wie zu kleinen Göttern,
Du gründest ihnen auf des Lebens Zeit
Ein froh Gemüth, ein immer heit'res Herz.
Die Freuden ihrer Jugend dauern nicht,
Sie wissen einst nichts mehr von diesem Tag —
Von jenem; von den reifen Nüssen nichts,
Die sie vom Baume klopften; von der Stange;
Sie wissen nichts vom Lächeln ihrer Mutter,
Wenn sie die traubenvollen Körbe brachten —
Doch alle Freude schlug in ihren Sinn,
Sie hoffen immer Holdes von der Welt!
Die einst so schön war, kann auch trübe sein.
Und froher Muth erträgt auch einst das Herbe,
Mit erster Kraft zu Dankbarkeit sogar
Bei erstem hellen Sonnenblick bereit.
Doch schwerverlebte, saure Kinderzeit
Macht ernste, finstere Gesichter, macht
Ein düst'res Auge. Dein bedrücktes Kind,
Das einstens an der Puppe Mangel litt,
Dem selbst der Ball im neuen Frühling fehlte...
Das arme großgewachs'ne Kind, es lächelt
Kaum wieder sein Kind an, das zu ihm lächelt!
Die Kinderfreude trägt die höchsten
Zinsen;
Der Mensch bedarf sie einst, getrost zu leben,
Der Geist des Alls bedarf sie, um sich himm-
lisch
In seinem schönen Himmel auch zu fühlen!
109. Der Tugend Ewigkeit.
Von Christoph Ludwig Neuffer.
Fest ist der Fels im Boden eingewurzelt,
Das Eisen stürzt ihn.
Stark ist das Eisen, trotzend seine Dauer,
Das Feuer schmelzt es.
Verheerend ist die freie Macht des Feuers,
Das Wasser löscht es.
Gewaltig ist das Wasser, erdumgürtend,
Die Wolke trägt es.
Mit Blitz und Donner ist die Wolke schwanger,
Der Wind verscheucht sie.
Mit Sturm und Brausen ist der Wind be-
waffnet,
Der Mensch verlacht ihn.
Keck ist der Mensch, er wagt und meistert Alles,
Der Gram erlegt ihn.
Schwer trifft der Gram, er raubt des
Lebens Freuden,
Der Wein vertreibt ihn.
Groß ist und wundervoll die Kraft des
Weines,
Der Schlaf vertilgt sie.
Viel tilgt der Schlaf, und Alles tilgt und
endet
Der Todesschlummer.
Doch ihn und Alles überlebt die Tugend,
Und schwingt zum Himmel sich in ew'ger
Jugend.
110. Erziehung.
Von Walther von der Vogelweide.
1. Nimmer wird's gelingen,
Zucht mit Ruthen zwingen:
Wer zu Ehren kommen mag,
Dem gilt Wort so viel als Schlag.
Dem gilt Wort so viel als Schlag,
Wer zu Ehren kommen mag:
Zucht mit Ruthen zwingen,
Nimmer wird's gelingen.
2. Hütet eurer Zungen:
Das geziemt den Jungen.
Schiebt den Riegel vor die Thür,
Laßt kein böses Wort herfür.
Laßt kein böses Wort herfür
Schiebt den Riegel vor die Thür;
Das geziemt den Jungen:
Hütet eure Zungen.
3. Hütet eure Augen:
Die zu Mustern taugen,
Solche Sitten laßt sie seh'n,
Alle bösen übergeh'n.
Alle bösen übergeh'n
Laßt sie, solche Sitten seh'n.
Die zu Mustern taugen,
Hütet eure Augen.
4. Hütet wohl der Ohren,
Oder ihr seid Thoren:
Böse Reden nehmt nicht auf,
Schande käm' euch in den Kauf.
Schande käm' euch in den Kauf,
Böse Reden nehmt nicht auf,
Oder ihr seid Thoren:
Hütet wohl der Ohren.
5. Hütet wohl der Dreien
Leider allzufreien.
Zungen, Augen, Ohren sind
Zuchtlos oft, für Ehre blind.
Zuchtlos oft, für Ehre blind,
Zungen, Augen, Ohren sind:
Leider allzufreien,
Hütet wohl der Dreien.
1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
83. Das Todttnheer.
431
83. Das Todtenheer.
Von F. A. Schulze.
1. Fern von des Eismeers unwirthbarem Strande
Kam eine Schaar vor grauer Zeit gezogen.
Sich Heimat suchend in der Sachsen Lande.
2. Gewasfnet nahte sie mit Schwert und Bogen;
Verderben hieß ihr Gang, nach Sitt' und Milde;
Denn ringsum rauschten Blut und Feuerwogen.
3. Schon wüthet sie aus Halberstadt's Gefilde
Vor einem Dörflein sonder Glanz und Namen,
Dem seine Armuth lange ward zum Schilde.
4. Der Schild zerbrach, als die vom Eismeer kamen,
An ihrer tiefern Armuth hartem Drange,
Und nun muß auch des Dörfleins Kraft erlahmen.
5. Zwar stritt die Faust der Männer kühn und lange
Verzweiflungsvoll für ihres Herdes Götter,
Doch fielen sie im Feiudesüberschwange.
6. Vom Schlachtfeld dräut den Hütten schon das Wetter;
Vor der Barbaren Gier und blut'gem Willen
Ersieht nicht Weib, nicht Kindlein mehr den Retter.
7. Die Nacht allein kann ihre Raubsucht stillen;
Verrath befolgend, hemnren sie die Schritte,
So lange Schatten noch das Dorf umhüllen.
8. Und hier verläßt ein jedes Weib die Hütte
Mit ihren lieben Kleinen und den Greisen,
Angstvoll ereilend der Gefährten Mitte.
9. „Es will," spricht da ein Greis, „kein Pfad sich weisen
Zur Rettung, — laßt uns, Liebe, drum vereinet
Erharren so des Feindes Wuth und Eisen!"
10. Indeß nun Alles bitter klagt und weinet,
Daß nirgendwo ein bess'rer Rath vorhanden.
So steht Thorguna stumm und wie versteinet.
11. Doch plötzlich reißt ihr Wort sich aus den Banden
Des tiefsten Schmerzes los, sie ruft: „Mit nichten!
Freiwillig werde Niemand hier zu Schanden!
12. Will droben in den Wolken Keiner richten,
Wie's Göttern ziemt, gerecht und mit Erbarmen,
So laßt uns muthig zu den Todten flüchten!
13. Vielleicht, daß sie für unser Recht erwärmen!"
Und zu der Gräber monderhelltem Orte
Geht sie voran, den Säugling auf den Armen.
14. Ihr folgen Alle nach der Todten Pforte,
Und wie ihr Blick erglüht zu Hellen Flammen,
So flammen auch von ihrem Mund die Worte:
15. „Wohlauf, Erblaßte, denen wir entstammen,
Was wehrhaft war, hat uns der Feind erschlagen,
D'rum rettet, Todte, jetzt für uns zusammen!
16. Ein höher Licht wird nie euch wieder tagen,
Die außer'm Kampfe rühmlos hier verschieden;
Erhebt euch, Götterehre zu erjagen!
1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
470
Iv. Didaktische Dichtungen.
Ich mag, das endlich ist, was zwischen allen schwimmt
Ein Unbestimmtes, das der Augenblick bestimmt.
Ich soll, ich muss, ich kann, ich will, ich darf, ich mag,
Die sechse nehmen mich in Anspruch jeden Tag.
Verlier’, o Jüngling, nur Geduld und Hoffnung nicht;
Eicht’ auf die Welt Vertrau’n, auf Gott die Zuversicht,
An dich die Forderung, zu kämpfen als ein Mann,
Und freue dich am Kampf, wenn dir der Sieg entrann.
Wenn er dir oft entrann, wird er nicht stets entrinnen;
Nur wer noch nichts gewann, hat Alles zu gewinnen.
Sohn, aufrecht sei dein Gang, und all’ dein Thun aufrichtig !
Aufrechter Gang ist für den Menschen nicht unwichtig.
Er ist, von Gott gewährt, die erste, hehrste Gunst,
Und ist, vom Kind gelernt, die erste, schwerste Kunst;
Die, und die eng mit ihr verbund’ne Kunst der Kede,
Begründet und bedingt der andern Künste jede.
Hoch halte sie, o Sohn, und mach’ Gebrauch davon;
Steh’ aufrecht, wo du stehest, nah oder fern dem Thron.
Vor’m höchsten Throne seihst halt aufrecht die Gedanken;
Wen Gottes Gnade hält, den lässet sie nicht wanken.
Ich gehe dir, mein Sohn, das mögest du mir danken,
Gedanken selber nicht, nur Keime von Gedanken.
Nicht mehr zu denken sind Gedanken, schon gedacht:
Von Blüthen wird hervor kein Blüthenhaum gebracht.
Doch ein Gedankenkeim, wohl im Gemüth behalten,
Wird sich zu eigener Gedankenhlüth’ entfalten.
Du musst das Gute thun, du musst das Wahre sprechen,
Warum ? damit musst du dir nicht den Kopf zerbrechen.
Ein rechter Mann hat zwei Gesichter, die er hält;
Das eine auf sein Haus, das and’re auf die Welt.
Das freundliche Gesicht, das wendet er in’s Haus,
Das ernste aber kehrt er in die Welt hinaus.
Ein ganzer Frühling wächst mit einmal aus der Erden;
Was Menschen wirken, kann nur Eins um’s And’re werden.
Doch wer beim Wirken festhält einen Gotteshauch,
Dess Einzles wird zuletzt ein ganzer Frühling auch.
Die zwei Tugendwege.
Zwei sind der Wege, ans welchen der Mensch zur Tugend emporstrebt;
Schließt sich der eine dir zu, thut sich der and're dir auf!
Handelnd erringt der Glückliche sie, der Leidende duldend.
Wohl ihm, den sein Geschick liebend auf beiden geführt!
Das Unwandelbare.
„Unaufhaltsam enteilet die Zeit!" — Sie sucht das Beständ'ge.
Sei getreu und du legst ewige Fesseln ihr an.
Sprüche, Sentenzen, Aphorismen von Denkern und
edlen Menschen sind für denjenigen unbestreitbar köstliche Schätze,
der sich derselben nicht bloß zu erinnern weiß, sondern der auch
nach denselben handelt.
1) Distichen von Friedrich v. Schiller.
1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
Iv. Didaktische Dichtungen.
2) Sprüche von Herder.
Wissen für Andre.
Wer für Andre nur weiß, der trägt wie ein Blinder die Fackel,
Leuchtet voran, und geht selber in ewiger Nacht!
Der langsame Pfeil.
Drücke den Pfeil zu schnelle nicht ab, der nimmer zurückkehrt;
Glück zu rauben ist leicht; wieder zu geben so schwer.
Wirkung des Zorns.
Mäßige deinen Zorn; es fallen die Funken des Zornes
Erst auf dich; auf den Feind, wenn sie ja treffen, zuletzt.
Gewalt und Güte.
Weiche Seide zerschneidet das scharf einhauende Schwert nicht;
Stärker als alle Gewalt ist ein nachgebender Geist.
Güte bezwang die Welt. Mit sanften freundlichen Worten
Magst du den Elephanten leiten am einzigen Haar.
Die Beleidigung.
Schmett're den Stein nicht gegen die Mauer; er prallet zurück dir;
Oder es reißt sich ein Fels los von der Mauer auf dich.
Wünsche.
Hätte die Katze Flügel, kein Schmetterling wär' in der Luft mehr.
Hätte, was Jeder wünscht, Jeder; wer hätte noch was?
Wissen ohne That.
Ohne die That ist Wissen, wie ohne Honig die Biene;
Sage der Stolzen: „Warum schwärmest du müßig und stichst?"
Das Licht.
So wie die Flamme des Lichts auch umgewendet hinaufstrahlt;
So vom Schicksal gebeugt, strebet der Gute empor.
Das Gold.
Gold, du Vater der Schmeichler, du Sohn der Schmerzen und Sorgen,
Wer dich entbehret, hat Müh'; wer dich besitzet, hat Leid.
Die Schifffahrt des Lebens.
Willst, o Sterblicher, du das Meer des gefährlichen Lebens
Froh durchschiffen und froh landen im Hafen dereinst,
Laß, wenn Winde dir heucheln, dich nicht vom Stolze besiegen;
Laß, wenn Sturm dich ergreift, nimmer dir rauben den Muth.
Männliche Tugend sei dein Ruder, der Anker die Hoffnung;
Wechselnd bringen sie dich durch die Gefahren an's Land.
Höhere Natur.
Wird im quälenden Hunger der Löw' am Grase sich laben?
So auch ein hohes Gemüth sinke nie unter sich selbst.
Allen immer gefallen, ist ein Glücksspiel;
Wenigen gefallen ein Werk der Tugend:
Wenn's die Bessern sind. Gefallen Niemand,
Schmerzt und kränket.
Sollt' ich wählen, ich wähl'te gern die Mitte;
Wenigen gefallen und nur den Besten:
Aber unter beiden, ob Allen oder Keinem?
O Keinem!